Langer Atem bei der Wohnungssuche
VON: REGINA GRAVE
Auch Helfende brauchen ein Erfolgserlebnis: Regina Grave im Beratungsgespräch mit einem ihrer KlientenCaritasverband Frankfurt e. V.
Die Einrichtungen sind überfüllt und es gibt lange Wartezeiten. Der Wohnungsmangel ist schon lange in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Er betrifft längst nicht mehr nur Arbeitslose und Geringverdiener. Auch für Menschen mit mittlerem Einkommen wird es schwierig, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Auf dem freien Wohnungsmarkt muss man sich bewerben wie um einen lukrativen Job. Was ist mit Menschen, die auf den ersten Augenschein nicht in das gewünschte Bewerbungsraster passen? Die Schulden haben, die nur von Minijobs leben oder gänzlich ihr Geld vom Jobcenter bekommen, die krank oder behindert sind oder eine andere Hautfarbe haben? Bleiben diese Menschen einfach auf der Strecke?
Für sie bleibt letztendlich nur der soziale Wohnungsbau. Dieser wurde leider in den letzten Jahrzehnten zurückgefahren - jedes Jahr fallen Wohnungen aus der Sozialbindung - eine politische Fehlentscheidung, die sich jedoch nicht mehr so schnell umkehren lässt. Das sind die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, in denen sich die soziale Arbeit bewegen muss. CASA 21 ist eine Beratungsstelle des Caritasverbands Frankfurt für Menschen, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, wie es so schön im Sozialgesetzbuch heißt. Im Grunde arbeiten die Sozialarbeiter/-innen in einem fast leeren Laden und schwanken zwischen dem Anspruch, neue Ideen zu entwickeln und Resignation. Wie soll man jemandem Mut machen, wenn man selbst keine realistische Perspektive sieht? Wie sieht das im konkreten Beratungsalltag aus?
"Notruf" am Freitagmittag
Ein Freitagmittag im Januar in der CASA. Die Öffnungszeit endet in wenigen Minuten. Da kommt ein "Notruf" der Ärztin aus der Elisabeth-Straßenambulanz. Sie möchte dringend und möglichst sofort einen Mann in die Beratung schicken.
Herrn Maier, grauhaarig, mit Tränen in den Augen, dem man seine Obdachlosigkeit keineswegs ansieht, geht es sehr schlecht. Er ist völlig verzweifelt - er zweifelt an sich, am Leben. Der Alkohol mache ihn kaputt, habe alles kaputt gemacht - er könne nicht mehr - er wolle nicht mehr. Ich höre ihm zu, versuche zu verstehen - ohne Bewertung oder Verurteilung. Ihm ist klar, dass er Hilfe braucht, bevor er sich etwas antut. Diese Einsicht ist seine Rettung. Er begibt sich noch am selben
Tag in stationäre Behandlung ins Markuskrankenhaus. In unserem Gespräch werden die ersten konkreten Schritte hin zu einer Veränderung gegangen: das Einrichten einer Postadresse, damit er wieder erreichbar ist; Kontaktaufnahme und Klärung mit der Arbeitsagentur/dem Jobcenter, sodass wieder Zahlungen von Arbeitslosengeld 1 erfolgen. Da seine seit einem Jahr bestehende Registrierung beim Wohnungsamt auszulaufen droht, muss zeitnah ein Verlängerungsantrag gestellt werden. Das ist sehr wichtig, damit nicht die Wartezeit von vorne beginnt. Vor allem bewirkt das Gespräch, dass er so etwas wie Hoffnung schöpft - nur ein kleiner Silber streifen - aber immerhin.
In Kontakt bleiben
In Kontakt bleiben und erreichbar sein: Regina Grave an ihrem Arbeitsplatz im Caritas-Zentrum für Wohnungslose, CASA 21.Caritasverband Frankfurt e. V.
Ich biete weitere Unterstützung an, vor allem erst mal in Kontakt zu bleiben. Ein paar Tage später meldet sich Herr Maier telefonisch aus der Klinik. Es geht ihm besser, aber es liegt noch ein weiter Weg vor ihm. In weiteren Beratungsgesprächen geht es um sein früheres Leben, seine Arbeit und Beziehungen, seine Trennungen und seine Versuche, die Probleme mit Alkohol zu lösen. Es geht auch um seine tief in ihm sitzende Traurigkeit. Auch die wollte er in Alkohol auflösen. Vor allem aber geht es darum, wie es weitergehen kann.
Nach der Trennung von seiner Partnerin ist er obdachlos. Sie hat ihn kurzerhand rausgeschmissen, als
er begann, das gemeinsame äußerst problematische Trinkverhalten zu hinterfragen. Er ist gezwungen, auf der Straße zu schlafen. Wenn er aufhören will zu trinken, muss er sich auch von seinem alten Freundeskreis trennen. Es bleibt ihm nur ein radikaler Bruch mit alten Gewohnheiten - ein radikaler Neuanfang. Aber um neu anzufangen, braucht er eine eigene Wohnung. Eine Zeitlang ist er auch in einer Notübernachtungsstätte untergekommen. Doch dort hält er es nicht gut aus. Er ist ein Einzelgänger und eine erzwungene Gemeinschaft mit Menschen, die ebenso wie er Probleme haben, ist einer Motivation zur Veränderung nicht gerade förderlich. Von daher will er auf keinen Fall in ein Wohnheim. Er braucht einen Rückzugsraum für sich.
Verzweifelte Suche nach einer eigenen Wohnung
Die Suche nach einer eigenen Wohnung beginnt und gestaltet sich schwierig. Zwar erfolgt die Verlängerung seiner Registrierungsnummer sehr zügig, und auch ein erstes Wohnungsangebot kommt sehr zeitnah, aber leider bekommt ein anderer Mitbewerber den Zuschlag. Diese Absage muss verkraftet werden. Es beginnt ein Prozess des Wartens, Hoffens, Bangens, Enttäuschung, Frust, und dann alles wieder von vorne. Dabei geht es um so etwas Existenzielles wie einen Schutzraum. Eine Wohnung ist wie eine zweite Haut des Menschen. Wohnen ist ein Menschenrecht. Keine Wohnung zu haben, bedeutet schutzlos zu sein. Was bedeutet das für einen Menschen, dem es ohnehin gesundheitlich nicht gut geht? Einem Menschen, dem die Depressionen die Kraft rauben zu kämpfen, der aufgeben möchte, weil alles scheinbar doch keinen Sinn hat.
Die Motivation hochhalten
Für die Sozialarbeiter/-innen der CASA bedeutet das, immer wieder den Frust aufzufangen. Motivieren, dran zu bleiben, ohne eine konkrete Aussage treffen zu können, nach wie viel Absagen es denn klappen könnte, wie schnell ein neues Angebot kommt und so weiter. Herr Maier bleibt dran. Er kämpft mit sich und dem Drang, alles hinzuschmeißen und wieder anzufangen zu trinken. Aber er weiß auch, dass er trocken bleiben muss. Nur mit einem klaren Kopf wird er eine Wohnung bekommen, wird er die Vorstellungstermine einhalten und sich auch beim Vermieter präsentieren können. Es ist ein harter und zäher Kampf, der immer wieder auf Messers Schneide steht. Eine schwierige Gratwanderung.
Endlich am Ziel
Doch schließlich bekommt er nach mehr als einem halben Jahr in der Beratung und gefühlt unendlich vielen Ablehnungen eine Zusage. 1 Jahr und 7 Monate war er bis dahin beim Wohnungsamt registriert. Ab August kann er eine Seniorenwohnung in Bornheim anmieten. Es ist wirklich ein Glücksfall für ihn, eine Wohnung in dem Stadtteil zu bekommen, in dem er geboren und aufgewachsen ist.
Ein Jahr nach seinem ersten Gespräch in der CASA kann er ein besonderes Jubiläum feiern. Er ist ein Jahr trocken und genießt jeden Tag in seiner Wohnung. Ein Bett zu haben, im Trockenen und Warmen, ein eigenes Bad. Die Tür hinter sich schließen zu können, all das war lange keine Selbstverständlichkeit für ihn.
Auch Helfende brauchen Erfolgserlebnisse
Leider sind solche Momente in unserer Arbeit selten geworden. Ständige Absagen für unsere Klienten sorgen auch bei den Helfenden für Frust und Resignation. Umso mehr freuen wir uns mit den Menschen, die wir begleitet haben, über den Erfolg. Sie geben uns neue Motivation für diese schwierige Arbeit, kleinste positive Veränderungen wahrzunehmen, wertzuschätzen und positiv zu verstärken.
Regina Grave ist Sozialarbeiterin im Caritas-Zentrum für Wohnungslose, CASA 21.