Ein Ventil für Sorgen und Nöte
20 Jahre "Heißer Draht" - gemeinsam aktiv für pflegende Angehörige: Christine Klass, Leiterin der Telefonberatungsstelle im Caritasverband und Ilse Dosch, geehrt für 17 Jahre ehrenamtliches Engagement.Caritasverband Frankfurt e. V.
Das Telefon für pflegende Angehörige gibt es seit 20 Jahren. Niedrigschwellig und anonym können sich Familienangehörige und betreuende Personen in belasteten Pflegesituationen ganztägig telefonisch an die psychosoziale Kontaktstelle wenden. Getragen wird das Projekt primär von Ehrenamtlichen, die für diese Aufgabe speziell geschult sind und vielfältige Erfahrungen aus dem Pflegealltag mitbringen.
Frau Klass, wie entstand vor 20 Jahren die Idee, ein solches Projekt zu entwickeln?
1998 hatte eine ehemalige Kollegin, Krankenschwester im Caritasverband, die Idee, ein Telefon für Menschen, die zuhause pflegen, einzurichten. Damit kam eine belastete Zielgruppe in den Fokus, die bisher häufig vergessen wurde. Das Telefon sollte eine Entlastungs- und Ventilfunktion für Angehörige sein und die Möglichkeit bieten, Themen wie Ärger, Verzweiflung oder Ratlosigkeit in der Pflegesituation auszusprechen. Bundesweit war es damals das erste Krisentelefon seiner Art. Hinzu kam ein zunehmender Informationsbedarf, besonders 2015 durch die neuen Pflegegesetze, so dass wir als "Heißer Draht für pflegendende Angehörige" unser Team vergrößerten und die Anrufzeiten ausweiteten.
Frau Dosch, was hat Sie motiviert, sich gerade beim Heißen Draht zu engagieren?
Durch die aktive Pflege meiner Eltern war ich mit den Sorgen und Problemen in der Betreuung gut vertraut. Zu dieser Zeit kam ich in einen Gesprächskreis des Caritasverbands, der mir viele Entlastungsmöglichkeiten aufgezeigt hat und mich aus meiner Hilflosigkeit herausgeführt hat. Drei Jahre habe ich den Gesprächskreis dann auch selbst geleitet. Diese guten Erfahrungen gebe ich seit mittlerweile 17 Jahren auch beim "Heißen Draht" an andere Menschen weiter.
Mit welchen Belastungen haben pflegende Angehörige aus Ihrer Erfahrung zu kämpfen, Frau Klass?
Laut Statistik fühlen sich 70 % der Angehörigen überlastet - mit steigender Tendenz. Menschen, die einen Angehörigen pflegen, geraten häufig an ihre Grenzen; sind überfordert und ausgepowert. Viele fühlen sich mit den körperlichen und emotionalen Problemen und Konflikten im Pflegealltag allein gelassen. Die Pflege bringt oft das ganze Leben durcheinander. Häufig mündet ein Klinikaufenthalt bei einem alten Menschen in eine plötzliche Pflegesituation, dann entsteht für alle Betroffenen akuter Handlungsbedarf. Besonders der Umgang mit an Demenz erkranken Menschen ist für Angehörige immer wieder eine Herausforderung. Oft können sie nicht nachvollziehen, was im Kopf des Kranken vorgeht und reagieren unangemessen. Dann schwanken sie zwischen Wut und Trauer, schlechtem Gewissen und Hilflosigkeit.
Frau Dosch, sicherlich gibt es in der Telefonberatung schöne, aber auch belastende Erfahrungen. Wie werden schwierige Situationen aufgefangen?
Für mich ist es eine beglückende und dankbare Erfahrung zu spüren, wenn sich bei meinem Gesprächspartner/-in ein neuer Weg auftut. Wenn sich Anspannungen lösen und die eigenen Bedürfnisse bewusst werden, die in den meisten Fällen keinen Raum haben: Oft ist dann das Ende eines Gespräches ein befreiendes Aufatmen und ein herzliches "Dankeschön". Natürlich gibt es auch sehr belastende Gespräche und schwierige Situationen, wo man an eigene Grenzen kommt. Wir haben mit Christine Klass eine gute Ansprechpartnerin. Zudem finden in Abständen Supervisionen statt. Da gibt es für uns die Möglichkeit, belastete Situationen anzusprechen und zu bearbeiten. Das schafft auch für uns Klärung und Entlastung.
Frau Klass, auf welchem Weg wird über das Angebot informiert? Und wie wird es angenommen?
Wir informieren über Flyer, Info-Stände, über Pressemeldungen in den Frankfurter Zeitungen, Rundfunkinterviews, über Netzwerk-Arbeitskreise, Gesundheitsmessen und online im Internet. Im Durchschnittlich rufen zwischen 300 bis 400 Personen jährlich an; zwei Drittel sind Frauen - in der Regel Töchter und Ehefrauen - und ein Drittel Männer - Söhne und Partner, Verwandte, Nachbarn oder Freunde. Die meisten finden uns inzwischen im Internet. Für den Griff zum Telefonhörer braucht es Mut, man spürt häufig: es kostet Überwindung, offen zu sprechen. Obgleich der Unterstützungsbedarf stetig zunimmt, sind die Anrufzahlen relativ konstant. Es bräuchte noch mehr Bekanntheit und Präsenz in der Öffentlichkeit.
Frau Dosch, wie groß ist das ehrenamtliche Team und was sollte man mitbringen, wenn man sich im Projekt engagieren möchte?
Wir sind neun Kolleginnen und Kollegen zwischen 40 und 80 Jahren, die sich gut verstehen und gegenseitig unterstützen. Die Altersspanne empfinde ich als Vorteil. Mitbringen sollte man Empathie und Achtsamkeit, das gehört für mich zum Gelingen eines Gesprächs. Es ist auch von Vorteil, selbst Erfahrungen in der Pflege und Betreuung der Angehörigen gemacht zu haben. So kann ich die Situation meiner Gesprächspartnerin sehr gut nachempfinden und meine Erfahrung im Pflegealltag einbringen.
Frau Klass, kooperieren Sie mit weiteren Einrichtungen und Anlaufstellen, wenn ein Telefonat nicht ausreicht?
Selbstverständlich kooperieren wir mit den weiteren Fachstellen der Präventiven Altenhilfe, den Zentralstationen, den Hilfenetzen und Pflegeheimen. Darüber hinaus mit den Kirchengemeinden, mit den Seniorenanlaufstellen der Stadt ebenso wie mit dem Pflegestützpunkt und den Seniorenrathäusern. Die Zahl Pflegebedürftiger steigt und damit auch der Bedarf an Information und Unterstützung.
Das Interview führte Beate Weismüller, Mitarbeiterin im Bereich "Interne Kommunikation" des Caritasverbands Frankfurt e. V.
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Um der Gefahr der Vereinsamung und Isolation durch die Pflege entgegenzuwirken, hat der Heiße Draht aktuell sein Angebot ausgeweitet. Pflegende werden auf Wunsch regelmäßig telefonisch kontaktiert und durch die Pflegesituation begleitet. Das gibt ein Gefühl der Sicherheit und kann unglaublich entlasten.