"Einen Raum zum Kind-sein bieten"
Tabea Müller arbeitet seit 2014 in verschiedenen Positionen und mit unterschiedlichem Stundenumfang im pädagogischen Bereich des Kinderhaus Goldstein.Sophie Schüler
Das Kinderhaus Goldstein ist seit mehr als 30 Jahren wichtiger Treffpunkt im Stadtteil. Die Einrichtung ist Anlaufpunkt für die sechs- bis 13-Jährigen, vor allem aus dem angrenzenden Wohngebiet Heisenrath, einer in den 60er Jahren entstandenen Hochhaussiedlung.
Das Angebot des Kinderhauses besteht aus pädagogischem Mittagstisch, Hausaufgabenhilfe, offenem Spieltreff, Kursen, Aktionen, Kulturveranstaltungen und verschiedenen Angeboten für Eltern. Im Haus gibt es zudem eine Hortgruppe mit 25 Kindern. Täglich besuchen derzeit zwischen 60 und 80 Kinder das Kinderhaus Goldstein.
"Es ist die Angst der Eltern, die die Kinder wie einen schweren Rucksack durch den Alltag schleppen."
Die wirtschaftliche Lage war und ist gegenwärtig eine der größten Herausforderungen für Kinder und Eltern. Immer häufiger ist die Sorge um steigende Lebensmittelpreise Thema in Gesprächen mit Kindern und Eltern. Wenn sich vor fünf Jahren Kinder in unserer Einrichtung über den Preis von Salatgurken oder die Verfügbarkeit von Sonnenblumenöl unterhalten hätten, hätten wir uns als Mitarbeitende doch stark gewundert. In letzter Zeit sind diese Gespräche beinahe zum Alltag geworden - und zwar nicht nur im Alltag der Erwachsenen, sondern auch und insbesondere im Alltag der Kinder.
Die Hoffnung auf das Ende der Krisenzeit, wenn die Pandemie doch nur endlich vorüber wäre, wurde durch den Beginn eines Invasionskrieges auf dem europäischen Kontinent jäh beendet. Das Gefühl der Beklommenheit, der Sorge und der Angst reißt nicht ab. Und eben dieses Gefühl, dass die Erwachsenen seit mehr als zwei Jahren nicht loslässt, ist auch dauerhafter Begleiter im Alltag der Kinder. Es sind die Angst, dass die Eltern ihre Arbeit verlieren, die Sorge, Familienmitglieder anzustecken und die unmittelbare Furcht, dass der Krieg auch nach Deutschland kommen könnte.
Vorderstes Ziel des Kinderhauses ist es, den Kindern einen sicheren und möglichst sorgenfreien Raum zu bieten - einen Ort, an dem gespielt, gebastelt und gelacht wird. Aber auch einen Ort, an dem Fragen und Sorgen thematisiert und besprochen werden können. Kurzum: Wir möchten ein Ort sein, wo der schwere Rucksack der Alltagssorgen draußen bleiben kann, eine kurze Zeit über von jemand anderem getragen wird und im besten Falle durch Gespräche und gemeinsame Lösungsansätze das ein oder andere Päckchen aus dem Rucksack herausgenommen werden kann.
Mit viel Kreativität auf gestiegenen Beratungsbedarf reagiert
Mit der Pandemie stieg die Anzahl der den Rucksack belastenden Päckchen und somit der Beratungsbedarf bei den Kindern und den Eltern enorm an. Fragen zu geltenden Coronabeschränkungen, drohender Arbeitslosigkeit, Impfmöglichkeiten, Erziehungsfragen und Fragen der Alltagsbewältigung waren auf einmal an der Tagesordnung.
Das Kinderhaus begegnete den Herausforderungen mit viel Kreativität: durch ein erweitertes Beratungsangebot für Kinder und Eltern, durch Eins-zu-Eins- bzw. Kleingruppenangebote für die Kinder und verstärkt auch durch konkrete Sachspenden. Im Lockdown zu Beginn
des Jahres 2020 hatten die Kinder die Möglichkeit, regelmäßige Unterstützung bei der Bewältigung ihrer Homeschooling-Aufgaben auch in 1 zu 1-Settings im digitalen oder präsenten Raum zu bekommen. Mit weiteren Öffnungsschritten konnten wir auch wieder mehrere Kinder gleichzeitig einladen. Bei der schrittweisen Öffnung des Kinderhauses war es uns wichtig, sowohl dem enormen Bedürfnis der Kinder, sich wieder gegenseitig zu begegnen und miteinander zu spielen, als auch dem Gesundheitsschutz aller Beteiligten gerecht zu werden, indem die Maskenpflicht für alle bis in den Mai 2022 hinein aufrechterhalten, die Möglichkeiten für die Kinder aber gleichzeitig erweitert wurden. Und so versuchen wir in einer Zeit, in der die äußeren Umstände die persönlichen Rucksäcke der Kinder beschweren, an der ein oder anderen Stelle ein Päckchen herauszunehmen und aufzulösen, um den Kindern den Raum zu geben, den sie verdienen: einen Raum zum Kind-Sein.