Die Geschichte des Verbands
Erster Caritassekretär und später Caritasdirektor wird der Kaufmann Anton Matti. Mit dem Beginn des Industriezeitalters vollzieht sich ein gigantischer Umbruch. Der rasante wirtschaftliche Wandel bringt große soziale Probleme mit sich. Die Arbeit in den Fabriken ist hart und bringt wenig Lohn. Arbeiterfamilien leben im Elend. Schlechte Wohnverhältnisse, mangelnde Hygiene und unzureichende Ernährung führen zu hoher Säuglingssterblichkeit. Viele Kinder sind Vollwaisen. Vor allem der Kinder und ihrer Familien nimmt sich der neugegründete Caritasverband Frankfurt an. Ihre Lebensbedingungen will er verbessern.
Die ersten Aufgaben des Caritasverbandes Frankfurt sind die Übernahme von Vormundschaften, die persönliche Sorge für die Mündel von der Geburt bis zur Volljährigkeit, die Sicherung gleicher Entwicklungschancen für nichteheliche Kinder, die Pflegestellenvermittlung, die Beratung der Pflegeeltern, die Übernahme von Beistandschaften für Halbwaisen und die Einrichtung einer Jugendbibliothek.
1903 kommt die Beratung und Hilfe für die vom Land in die Stadt strömenden arbeitsuchenden und oft hilflosen Menschen hinzu, durch Unterstützung bei der Stellensuche, Stellenvermittlung und Einrichtung eines Mädchenwohnheimes in Bornheim. Bereits 1904 leistet der Caritasverband Eingliederungshilfe für jährlich 25 bis 30 Strafentlassene. Die Mitarbeiter des Caritasverbandes bekommen sogar Schlüssel zu den Gefängniszellen - ein nicht alltäglicher Vertrauensbeweis. Ab 1905 wird durch Vorträge in den Abgangsklassen für Eltern und Schüler Aufklärungsarbeit über die Notwendigkeit einer Berufsausbildung betrieben sowie eine Lehrstellenvermittlung als präventive Arbeit eingerichtet. Die Straffälligkeit junger Menschen bedingt ab 1907 die Mitarbeit beim 1. Jugendgerichtshof.
Die Not nimmt kein Ende: 1. Weltkrieg und große Inflation
Im 1. Weltkrieg schließen sich die Wohlfahrtseinrichtungen in ganz Frankfurt zur "Kriegsfürsorge" zusammen. Der Caritasverband organisiert 1916/1917 für 3.000 Kinder Erholungsaufenthalte auf dem Land und sorgt dafür, dass 2.000 Kinder von Schweizer Familien aufgenommen werden. Nach dem Krieg ist ein wichtiger Teil der Arbeit Hilfe für Kriegsheimkehrer.
Auch die 20er Jahre waren geprägt von großer Not. Viele Menschen in den Großstädten hungerten. Eine der wichtigsten Aufgaben des Caritasverbandes war das Sammeln und Verteilen von Lebensmitteln. Daneben baute er die Jugendhilfe aus, gründete viele katholische Kindergärten und organisierte Erholungsaufenthalte auf dem Land für Frankfurter Kinder und Jugendliche.
Nationalsozialismus und 2. Weltkrieg
In den 30er Jahren führt die Weltwirtschaftskrise zu neuen sozialen Problemen. 1932 erreicht die Zahl der Arbeitslosen mit sechs Millionen ihren Höhepunkt. Der Caritasverband unterstützt Familien und Bedürftige in Frankfurt gemeinsam mit anderen Hilfsorganisationen durch die "Winterhilfe".
Im Nationalsozialismus wird die Arbeit der freien Wohlfahrtspflege immer mehr eingeschränkt. Caritas-Heime werden aufgelöst, die 27 katholischen Kindergärten übernimmt 1943 die NS-Volkswohlfahrt. Ein Bombenangriff im Jahr 1942 zerstört das Caritashaus und alle Altenheime.
Wiederaufbau der Caritasarbeit nach dem 2. Weltkrieg und in den 50er Jahren
Bei Null fängt die Caritasarbeit nach dem 2. Weltkrieg wieder an. 1945 hat der Caritasverband Frankfurt nur noch sechs hauptamtliche Mitarbeiterinnen. Jetzt geht es darum, die existenzielle Not der Menschen zu lindern. Zwei Kurheime in Bad Schwalbach und ein Heim in Bad Orb werden gemietet, um die alten Leute aus den Heimen unterzubringen.
In Frankfurt herrschen Hunger und Wohnungsnot, entwurzelte Kinder und Jugendliche streunen durch die Straßen. Für einen Teil dieser heimatlosen Jugendlichen richtet die Caritas ein Jugendwohnheim in einer Baracke ein. Außerdem wird speziell die ambulante Mädchensozialarbeit als Arbeitsschwerpunkt aufgenommen, später kommen noch zwei Mädchenwohnheime dazu.
Die Arbeit der Bahnhofsmission wird für die Heimkehrer und Flüchtlinge ausgeweitet. Mit Suppenküchen und Lebensmittelsammlungen auf dem Lande muss die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln auf die Beine gestellt werden. Die Caritas verteilt auch Hilfesendungen aus dem Ausland. Für unterernährte Kinder und Jugendliche wird die Erholungsfürsorge organisiert. Frankfurter Kinder finden Aufnahme in Familien in der Schweiz, in Nordspanien, in Flandern und in Holland.
Im Vincenzhaus in Hofheim richtet die Caritas 1945 ein Säuglingsheim ein.
Durch Krieg und gestörte Familienverhältnisse haben viele Kinder psychische Probleme. Seit 1953 laufen konzeptionellen Planungen für ein heilpädagogisches Kinderheim nach Schweizer Vorbild. 1955 ziehen die ersten Kinder ins neu gegründete heilpädagogische Heim ein.
Die Wohnungsnot zu Beginn der 50er Jahre ist Anlass für den Bau des Hauses Leonhard in der Buchgasse. Dort werden alte Menschen, junge Mädchen und Alleinstehende aufgenommen.
Arbeit mit Migranten und Flüchtlingen
In den 60er-Jahren übernimmt zunehmend der moderne Sozial- und Rechtsstaat die Absicherung der Bürger gegenüber Lebensrisiken: "Fürsorge" wird zum Rechtsanspruch. Aber es gibt auch weiterhin Menschen, die die Beratung, Unterstützung und Hilfe der Caritas suchen und brauchen. Ein ganz neues Arbeitsfeld entsteht durch den Zuzug ausländischer Arbeiter nach Deutschland. Zunächst kommen Italiener und Spanier. 1963 leben ca. 12.000 in Frankfurt. Es folgen Jugoslawen und ab 1965 auch Portugiesen. Für sie und ihre Familien bietet die Caritas in Frankfurt Beratungszentren mit muttersprachlichen Experten aus den Heimatländern. 1976 richtet der Verband in Kooperation mit dem Diakonischen Werk den Flughafensozialdienst für Flüchtlinge ein.
Professionalisierung der Caritasarbeit in den 70er und 80er Jahren
Die Arbeit der Caritas weitet sich so stark aus, dass sich der Verband umstrukturiert und 1975 neun "Sachbereiche" bildet. Am 25. Januar 1985 gibt sich der Verband eine neue Satzung. Danach ist der Caritasverband die vom Bischof von Limburg anerkannte institutionelle Zusammenfassung und Vertretung der katholischen Caritas in der Stadt Frankfurt.
In die 80er Jahre fällt auch die bis dato nicht gekannte Problematik der Arbeitslosigkeit und in Folge eine wachsende Armut. Dieses Problem erforderte auch vom Caritasverband neue, differenziertere Angebote wie die Schuldnerberatung oder die sozialpädagogische Familienhilfe.
Die 90er Jahre: Antworten auf die Spaltung der Gesellschaft
Als Antwort auf die gesellschaftlich-wirtschaftliche Auswirkungen der hohen Arbeitslosenzahlen baut der Caritasverband Frankfurt 1994 seine Beschäftigungsbetriebe "Cariteam" auf. Ziel ist die Beschäftigung, Qualifizierung und Förderung von besonders benachteiligten Langzeitarbeitslosen. In den Bereichen Maurer, Schreiner-, Maler- und Lackiererhandwerk werden jährlich über 100 Teilnehmer geschult. Darüber hinaus laufen Qualifizierungsmaßnahmen in der Verwaltung, im Ökumenischen Kleiderdienst und im Catering.
Marktorientierung in der Pflege
Durch die Einführung der Pflegeversicherung im Juli 1996 ändert sich die Situation der ambulanten Pflege und damit der Zentralstationen grundlegend. Die Stundensätze aus der Pflegekasse sind deutlich niedriger als die der Krankenkassen. Weniger Leistungen und damit weniger Zuwendung für die einzelnen Patienten können finanziert werden. Der Caritasverband muss jetzt verstärkt Eigenmittel einsetzen, um sein Verständnis von menschenwürdiger Pflege zu realisieren.
Neue, flexible Lösungen - Stationäre Familienbetreuung
Die Diskussion um die Sicherung und Steigerung von Qualität wird seit Mitte der 90er Jahre für alle Bereiche der Sozialarbeit immer wichtiger. Dazu gehört vor allem die Ausrichtung der Angebote, zugeschnitten auf die Bedürfnisse und Probleme der Zielgruppen. Innovation und Flexibilität sind ein Muss, um auf gesellschaftliche Veränderungen zu reagieren. Beispiel: Die stationäre Familienbetreuung. Dieses Projekt richtet sich an Familien, in denen mehrere Kinder in Heimen leben oder deren Heimunterbringung bevorsteht. Ziel von Heimunterbringungen ist normalerweise die Rückkehr in die Herkunftsfamilie. Falls dieses Ziel nicht erreicht werden kann, werden andere Perspektiven für die betroffenen Kinder entwickelt.
Eine weitere Möglichkeit ist es, die ganze Familie quasi "stationär" aufzunehmen, um die Kluft zwischen Eltern und Kindern zu verringern. Der Caritasverband nimmt daher in seinem Projekt die ganze Familie zusammen in eigens dafür zur Verfügung stehenden Wohnungen auf. Fachkräfte begleiten die Familie über zwei bis drei Jahre mit dem Ziel, dass die Familien lernen, selbständig mit einander zu leben. Vergleichbare Entwicklungen gibt es bei den Wochen, Tages- und Wohngruppen in der stationären Jugendhilfe. Der Ansatz lässt sich auf die Formel "more für less" bringen: Die Familien bekommen mehr Kompetenz und Verantwortung, gleichzeitig ist das Hilfsangebot kostengünstiger zu organisieren.
Modernes Selbstverständnis
Der Caritasverband versteht sich als "intermediäre Organisation" im geschichtlichen Kontext im Schnittfeld von Kirche, Staat, Gesellschaft und Markt. Aufgabe des Caritasverbandes ist es, Menschen in Not zu helfen. Diese Hilfe schließt neben der Qualitäts- und Lebenslagenorientierung eine gemeindenahe Organisation der Angebote mit ein. Gemeindenähe bedeutet wiederum die Erschließung von Hilfen aus dem Lebensumfeld. Insofern versteht der Caritasverband seine Angebote als subsidiär, die Sozialarbeit als Beziehungsarbeit. Der Ansatz stellt die Ressourcen und Stärken der Betroffenen in den Mittelpunkt. Neben der Einzelfallhilfe werden auf diese Weise neue Strukturen geschaffen.
Caritas-Sozialarbeit hat in diesem Sinne immer eine gesellschaftspolitische Komponente und wirkt an der Demokratisierung bestehender Verhältnisse mit.