Das sollten Unterzeichnende der Campact-Aktion wissen!
Es wundert schon sehr, wie gerade auf die caritativen Arbeitgeber, die seit Jahrzehnten trotz mangelnder Refinanzierung Tariflöhne gezahlt haben, mittels einer Campact-Kampagne ("brutale Caritas"?) eingeprügelt wird! Wieso wird nicht kritisiert, dass die Politik zulässt, dass Versorgungsverträge geschlossen werden mit Anbietern, die Dumpinglöhne zahlen? Die Forderung, hier einen Riegel vorzuschieben ist nicht neu. Das wäre eine Kampagne wert gewesen.
Caritas kämpft seit Jahren für bessere Pflege
Ist es nicht seltsam, dass die Politik für die Durchsetzung eines "mittelmäßigen Tarifs" die Mitarbeitenden und Dienstgeber von Caritas und Diakonie einbeziehen will, ohne dass dieser "mittelmäßige Tarif" auf deren Löhne Einfluss hätte? Der Streit, der sich seit Beginn der Pflegeversicherung 1995 hinzieht, hat vor allem mit der "Marktöffnung" der Altenpflege zu tun. Der "externe Vergleich" blockierte jahrelang die Refinanzierung der Tariflöhne der Caritas. Das fand zugunsten privater Anbieter statt, die dann insolvente Einrichtungen der Wohlfahrtspflege "einkaufen" konnten, um mit Haustarifen die Mitarbeitenden abzuspeisen. Über Jahre musste die Caritas gegen diese Gesetzesregelung streiten bis im Gesetz stand, dass tariflich vereinbarte Löhne als wirtschaftlich anerkannt werden müssen und nicht nur ein Mittelwert zwischen Dumping- und Caritaslohn refinanziert wird. Genau dieser Mittelwert wird jedoch angesteuert, wenn die Forderungen der Kampagne von Campact zur Umsetzung kommen. Eine bessere Vorlage für die Wiederauflage des "externen Vergleichs" in neuem Gewand könnte man nicht liefern! Man muss nur auf die Gewichte der Interessen schauen, die diesen Mittelwert anzielen: Pflegeversicherung, private Anbieter, Kommunen und Politik. Nicht heute, aber morgen wird sich die Waage wieder in die andere Richtung neigen. Und dann kann wieder eine Kampagne starten - gegen die Caritas, die ihre Einrichtungen nicht mehr refinanzieren kann, die schließen muss und an private Anbieter verkauft.
Caritas geht es nicht um das Abwerben von Fachkräften
Es geht nicht um die Abwerbung von guten Mitarbeitenden durch die Caritas. Seit langem werben die privaten Anbieter mit hohen Löhnen und Zusatzleistungen Fach- und Führungskräfte aus der Caritas ab, zu Lasten der Entlohnung ihrer Hilfskräfte. Hier zeigt sich die Differenz zwischen den Löhnen der Caritas und denen anderer Anbieter am deutlichsten. Vor Unterzeichnung der Campact-Kampagne sollte man sich über Lohnspreizungen und Personalpolitik in der privaten Pflegebranche informieren!
Caritas verfolgt kein Wettbewerbsmodell der Monopolisierung
Zum Thema Wettbewerb: Laut Campact hätten die Caritas-Dienstgeber keine bessere Gelegenheit gehabt, private Mitbewerber aus dem Feld zu schlagen. Die Erhöhung der Personalkosten, die immerhin ca. 60-80 Prozent der Gesamtkosten einer Einrichtung betragen, hätte das Geschäftsmodell dieser Gruppe erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Aber die Caritas verfolgt kein Wettbewerbsmodell der Monopolisierung und Skalierung der Trägergrößen aus Renditeüberlegungen.
Geld allein ist selten ein Grund
Was das Personal im Wettbewerb angeht: Pflegekräfte wechseln nur zu einem geringen Teil aus finanziellen Gründen den Arbeitgeber. Der Anteil von Frauen in diesem Berufsfeld ist überdurchschnittlich. Und leider ist es so, dass Frauen eine geringere Mobilität aufgezwungen wird, da sie immer noch mehrheitlich eine Beschäftigung im Nahbereich suchen müssen, um privaten Sorgeverpflichtungen (Kinder, Großeltern, Nachbarschaft) nachzukommen. Nicht zu unterschätzen ist auch die Solidarität der Pflegenden mit den konkret von ihnen gepflegten Personen. Der Personalmarkt in der Pflege ist nicht mit Plattheiten zu erklären. Ähnliche Gründe sind dafür zu suchen, weshalb der gewerkschaftliche Organisationsgrad von Pflegekräften so gering ist.
Es sollte zu denken geben, wenn eine große Gewerkschaft wie ver.di mit dem Ausbau flächendeckender Organisation und Streiks in der Altenpflege ihre Ziele nicht durchsetzen kann und dann auf die "Schwestern und Brüder" der katholischen Kirche angewiesen ist. Heute geht es um Frauen-Power und die hat - Überraschung! - im AVR-System der Caritas offenbar einen besseren Weg gefunden, um zu einem gerechten Lohn zu kommen.
Allgemeinverbindlicher Pflegetarif ist ein totes Pferd
Private Pflegeanbieter und Pflegeinvestoren (Rendite garantiert zwischen 4% und 6% für den Endkunden!) sind für solche Kampagnen von Campact dankbar, genauso wie die politischen Vertreter, die seit zwei Jahren wissen könnten, dass der allgemeinverbindliche Pflegetarif ein totes Pferd ist. Aber sie haben es gerne geritten ("Man tut was!"), um den Kadaver dann vor den Pflegeeinrichtungen zu entsorgen, die einen guten Tarif bezahlen. Und nicht zuletzt ist es für ver.di entlastend, den Ärger über schlechte Entlohnung bei der Caritas abzuladen, statt mit eigenen Mitteln zum Erfolg zu kommen.
Wie viele andere verschließt Campact mit seiner Kampagne die Augen davor, dass die Rahmung der Altenpflege in Deutschland seit mehr als einem Vierteljahrhundert falsch aufgestellt ist: mit einem Wettbewerbsmodell in einem Bereich, der von seinen Inhalten und den dort pflegenden und gepflegten Personen gemeinwohl-ökonomisch (https://web.ecogood.org/de/) aufgebaut werden müsste.
Autor: Dr. Hanno Heil, ehemals Vorsitzender des Verbandes Katholische Altenhilfe Deutschland (VKAD)