Chronisch krank und wohnungslos
Cathia Hecker
Das Blutzuckermessgerät lagert tagsüber sicher verwahrt in einem Schließfach. "Das ist ja schließlich richtig teuer!", ist sich der Patient sicher. Er will es schützen vor Diebstahl oder Beschädigung. Denn der Diabetiker lebt auf der Straße und hat keinen Schrank, keine Schublade, keine Privatsphäre, wo das Messgerät Platz finden könnte. Der gebürtige Slowake ist einer von vielen chronisch Kranken, die in die Elisabeth Straßenambulanz kommen. Als chronisch krank gilt ein Patient, wenn sein Krankheitszustand länger als vier Wochen anhält. Allen Krankheiten ist gemeinsam, dass die Krankheitsursachen nicht behoben oder der Krankheitsverlauf nicht gestoppt werden kann.
Die Motivation zur Mitwirkung muss aufgebaut werden, denn ohne das Mittun des Patienten ist eine Behandlung kaum aussichtsreich. Was bedeutet das für den wohnungslosen Diabetiker? Er muss nicht nur die Disziplin aufbringen, regelmäßig seine Medikamente zu nehmen, er muss ebenfalls sicherstellen, dass er sie rechtzeitig in der ESA abholt. Er muss nicht nur die regelmäßigen Messabstände einhalten, er muss auch die Messung unter erschwerten Bedingungen durchführen. Disziplin, Tagesstruktur, Selbstkontrolle finden auf der Straße statt. Die Patienten haben schon erschwerte Bedingungen, sich um ihre Grundbedürfnisse wie Essen, Schlafen und Körperhygiene zu kümmern. Einen festen Ernährungs- und Medikamentenplan einzuhalten, ist für Einige kaum zu schaffen.
Der 43-jährige Insulinpatient ist heute zur Kontrolle in der Praxis. Er klingt stolz, wenn er davon erzählt, wie er seine Krankheit managt. Die ESA hat ihm geholfen, die Einstellung mit Insulin gut zu regeln. So kann er mit seiner Krankheit leben. Einfach ist das nicht. Peter Wunsch, der regelmäßig mit dem Ambulanzbus der ESA seine Patienten vor Ort aufsucht, weiß von den Schwierigkeiten der Kranken auf der Straße. "Immer wieder höre ich, dass Patienten ihr Gepäck verlieren oder dass es, was leider auch oft vorkommt, gestohlen wird - mitsamt ihren wichtigen Medikamenten", berichtet der erfahrene Krankenpfleger. "Es kann Tage dauern, bis sie von uns wieder welche bekommen, und schon ist die Medikamentengabe unterbrochen." Die Folge ist, dass Krankheitssymptome sich wieder verstärken und eine Heilungsaussicht oder eine gute Einstellung der Krankheit in weitere Ferne rücken.
Eine regelmäßige ärztliche und pflegerische Versorgung ist unter diesen Umständen ein Kraftakt. "Manche chronisch kranken Patienten kommen unregelmäßig. Manche können die Wartezeiten nicht gut einhalten. Wieder andere sind der Ansicht, dass sie nichts brauchen", zählt Krankenpflegerin Theresia die unterschiedlichen Schwierigkeiten auf, die in der Versorgung der Patienten von der Straße auftauchen können. "Wir geben ungern nur die Tabletten mit, meistens drängen wir darauf, dass der Betroffene auch einen Arztkontakt wahrnimmt. Aber diese Geduld bringen nicht alle auf", so sind die Erfahrungen im Team. Das Team der ESA behält alle im Auge, die regelmäßige Hilfestellung brauchen.